Siedlungen am Titisee

1111 war nur eine Wegmarke

Für Siedlungen am Titisee geht Roland Weis bis mindestens in die Zeit um 1600 v. Chr. zurück.

TITISEE-NEUSTADT. Im Jahr 1111 entsteht eine Schenkungsurkunde, die den Titisee als "lacu titunsee" erwähnt.
Ob die Schenkung, die darin bestätigt wird, tatsächlich stattgefunden hat, oder die Urkunde eine Fälschung des
Klosters Allerheiligen aus Schaffhausen war, spielt für das Jubiläum 900 Jahre Titisee keine Rolle, sagt
Roland Weis. "Denn egal", fährt der Neustädter Historiker fort, "ob echte oder behauptete Schenkung, jedenfalls
wird der Titisee erwähnt. Und damit ist diese Urkunde der älteste schriftliche Nachweis des Titisees 
und – noch wichtiger – menschlicher Aktivität am Titisee.
" Weis sprach am Sonntag über "Was war vor 1111?",
wir veröffentlichen eine Kurzfassung.

Offensichtlich gab es dort bereits Besitzverhältnisse, Ansprüche, Rechte und etwas zu verschenken. Ein Adelsgut
in Saig, zu dem auch noch eine Kirche und "der halben Titunsee und anders mer" gehörte, so behauptet es die
erwähnte Urkunde. Diesen Besitz haben angeblich die Ortsadligen Bernhard und Berta an das Kloster Allerheiligen
verschenkt.

Daraus ergeben sich Schlussfolgerungen: Der Titisee gehörte im Jahre 1111 bereits jemandem, er hatte einen
Namen, es lebten dort lokale Adelsherren, zu denen dann auch Hörige, Leibeigene, Bauern, etc. gehörten, und
es gab bereits eine Kirche und damit genug Menschen, die dort zu den Gottesdiensten gingen. Das alles wiederum
heißt:
Es gibt eine Geschichte des Titisees vor 1111. Die Frage ist nur: Wie weit reicht sie zurück? 

Vom Hochrhein an den Titisee
Zwei 1840 vom Hermeshofbauer Lorenz Winterhalter beim Seebach-Ausfluss ausgegrabene steinerne Sarkophage,
klar als christliches Begräbnis identifiziert, sind nach neuesten Forschungen nicht, wie damals vermutet, dem
12. Jahrhundert zuzuordnen, sondern gehören nach Material, Form, Lage und Ausgestaltung ins 8. Jahrhundert.
Der Tuffstein, aus dem die Sarkophage gemeißelt waren, stammte aus dem unteren Wutachtal,
Raum Grimmelshofen. Eine solch aufwändige Bestattung weist auf hochgestellte Persönlichkeiten, mindestens
niederen Adel hin, gleichzeitig auf Besiedlung, denn Adlige leben nicht irgendwo alleine in der Wildnis. Und da es
sich um ein christliches Begräbnis handelte, muss ein Kirchenbau in der Nähe gewesen sein.

Der Raum um den Titisee war also bereits im 8. Jahrhundert christlich missioniert und besiedelt. Dafür in Frage
kommen eigentlich nur die Benediktiner des Klosters Schaffhausen, die über die mittelalterliche "hohe Straße",
die heute noch nachweisbar ist, vom Hochrhein kommend, über den Raum Grafenhausen/Schluchsee und das
Haslachtal bis an den Titisee gekommen sind. Das letzte Straßenstück bis zum Titisee bildete die Seesteige.
Den Seebauernhof oder dessen Vorgänger muss man sich als wichtige Station an dieser Straße vorstellen, wo
Vorspann genommen wurde, Rast möglich war, von wo aus vielleicht auch die Straße gepflegt wurde.

Das Vordringen der Schaffhausener Benediktinerbrüder bis an den Titisee hat sich bis heute auch in einer
Namensgebung im Seebachtal erhalten, 
nämlich in der Bezeichnung "Bruderhalde", der Halde der Mönchsbrüder.

Die ganze Riege der Seehöfe – vom Bärenhof über den Hermeshof, den Rieslehof, den Seebauernhof, den Gallushof
bis zum Scheuerhof – bildete nachweislich bis ins 16. Jahrhundert den Ort "Guta" oder "in der Guta", "In der Güten",
wie Urkunden zwischen 1275 und 1630 belegen. Mit "in der Guta" ist die Siedlung in der Talaue der aus dem See
abfließenden Gutach gemeint, so, wie heute von "in der Orne" die Rede ist, wenn man das Langenordnachtal meint.
Dieser aus mehreren Höfen und vielleicht dem einen oder anderen weiteren Gebäude bestehende Ort "Guta" ist die
gesuchte Siedlung am Titisee, die seit etwa 800 n. Chr. den Endpunkt der Schaffhausener Expansion und
Missionierung in den Südschwarzwald markierte.

Titin jagte und fischte am Titisee
Wir haben aber berechtigten Grund zur Annahme, dass davor schon eine alemannische Besitzergreifung statt-
gefunden hat. Ein beim Bau der Schluchseestaumauer im Schlick des Sees gefundener Einbaum ist auf 550 bis
595 n. Ch. datiert worden. Er belegt Jagd, Fischfang und damit auch Besiedelung der Schluchseegegend in der
Zeit der Alemannen, deren nächste bekannte Siedlungen rechts der Wutachschlucht im Raum Ewattingen,
Stühlingen und Bettmaringen zu finden sind. Links der Gutach sind es die Orte Löffingen, Reiselfingen, Dittishausen.
Wenn links der Gutach der Aktionsradius dieser Alemannensiedlungen bis zum Schluchsee reichte, dann liegt es
nahe, rechts der Gutach auch einen Aktionsradius bis zum Titisee anzunehmen.

Der alemannische Ortsgründer von Dittishausen war "Titin",
weshalb der Ort in den frühesten Urkunden "Titinshausen" hieß. Von Titinshausen bis zum "Titinsee", wie der
Titisee in den ältesten schriftlichen Erwähnungen heißt, ist es nicht weit. Es war Titins See! Dort besaß Titin
aus Titinshausen sein Jagdrevier, befuhr mit Einbäumen den See, gab ihm seinen Namen. Somit haben wir eine
nachgewiesene Besiedelung am See bis zurück ins 5. und 6. Jahrhundert.

Damit rückt die Frage in den Blickpunkt, ob auch bereits die Römer, die nachweislich ab 50 n. Chr. eine Straße
von Hüfingen über den Eisenbacher Höchst, den Hohlen Graben und den Thurner bis ins Dreisamtal unterhielten,
den See gekannt haben. Da die Römer sich nicht durch menschenleeres Gebiet bewegten, sondern entlang des
Weges Stationen unterhielten, große Gehöfte, die an den Raststationen die Versorgung gewährleisteten und von
wo aus Schutz und Instandhaltung der Straße organisiert wurde, dürften sie selbst oder zumindest ihre einheimischen
Vasallen auch Berührung mit dem Titisee gehabt haben.

Mehr als 300 Steinhügelgräber
Man nimmt an, dass keltische Stammesgruppen sich durch den Rückzug in entlegene Schwarzwaldtäler dem Zugriff
der römischen Besatzer entzogen und über Jahrhunderte autochthon überlebten. Das Jostal, mit der auf keltische
Wurzeln hindeutenden historischen Bezeichnung "Welschennordera", gilt der einschlägigen Wissenschaft als ein
Favorit für diese Rückzugstheorie.

Auf den Höhen rund um Titisee und speziell im Raum Neustadt, Breitnau und Löffingen, hat man in den letzten
Jahren mehr als 50 große Steinhügelfelder gefunden, die inzwischen vom Landesdenkmalamt als archäologische
Fundstellen bestätigt und der Hügelgräberbronzezeit zwischen 1600 und 1250 v. Chr. zugeordnet sind. Eine nähere
Untersuchung steht noch aus, aber da alleine im Raum Titisee mehr als 300 solcher Steinhügelgräber katalogisiert
sind, unter anderem auf der Fürsatzhöhe, im Wannewald und auf dem Hirschbühl, ist es zulässig, menschliche
Siedlungsaktivität am Titisee nunmehr bis in diese frühe Vergangenheit zurück als bewiesen zu betrachten.

Am Fuße des Hirschbühl liegt im Wald ein monumentaler Felsklotz, der eindeutig Spuren menschlicher Bearbeitung
trägt. Es handelt sich um einen steinzeitlichen Schalenstein, wie man ihn in großer Zahl auch in den Vogesen und
an anderen Orten findet. Solche Schalensteine mit handgefertigter Einbuchtung und Ablaufrinne sind zwischen
5000 und 1500 v. Chr. als Naturaltäre, Opfersteine, Wegweiser und Fruchtbarkeitsaltäre bei nahezu allen
steinzeitlichen Kulturen in Gebrauch gewesen. Zeigt uns der Schalenstein vom Hirschbühl also an, dass schon drei-
oder viertausend Jahre vor Christus hier Menschen lebten?
 

Autor: Roland Weis, Jahrgang 1958, 
1978 Abitur in Neustadt,
1984-89 Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politik, Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Freiburg
und Basel, 1990 bis 1992 Promotion,
seit 2002 in der Unternehmenskommunikation von Badenova,
seit 2008 deren Leiter und Unternehmenssprecher;
dazwischen Berufsjahre als Zeitungs- und Hörfunkredakteur;
freier Autor.

Zahlreiche Buchveröffentlichungen, langjähriger Kommunalpolitiker.

Quelle: 08. September 2011 -
Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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